Geliebte
im Herrn!
Die
Theologie hat mit Hilfe der griechischen Philosophie die Wahrheit von
der Dreipersönlichkeit Gottes in die Formel gefaßt: Eine Natur und drei
Hypostasen. Hypostasen, das heißt drei Träger, drei persönliche Träger des
göttlichen Wesens. Das Geheimnis der Dreifaltigkeit wäre uns niemals aufgegangen
ohne göttliche Mitteilung. Wir wissen nur davon, weil Gott es uns gesagt
hat, und wir können es auch nach seiner Mitteilung nicht ausschöpfen. Die
Tatsache ist uns durch Gottes Offenbarung gewiß, aber das Wesen und die
Eigenart dieser Tatsache bleibt uns verschlossen.
Ist
denn aber dann die Dreifaltigkeit, die Dreieinigkeit, die Dreipersönlichkeit
Gottes ein lebendiges Dogma, oder ist es nur etwas, was unser Denken
beschäftigen soll? Greift dieses Dogma in unser Leben ein? Hat es einen
Lebenswert und eine Lebensmacht? Gewiß, wir spenden die Taufe im Namen des
dreifaltigen Gottes, wir geben den Segen im Namen des dreieinigen Gottes,
wir beten im Glaubensbekenntnis zum Vater und zum Sohn und zum Heiligen
Geist. Im gläubigen Mittelalter hat man kaum eine wichtige Handlung
unternommen, ohne den dreifaltigen Gott anzurufen. Da wurden Friedensschlüsse
im Namen des dreifaltigen Gottes getätigt, da hat man Urkunden im Namen
des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes begonnen. Schenkungen
und Testamente wurden aufgesetzt im Namen des dreieinigen Gottes. Dieser
Alltagsgebrauch sagt etwas über die Lebensmacht des Dogmas von der Dreieinigkeit
aus. Wir können mit Hilfe dieses Dogmas in drei Lebensräume hineinschauen,
in den Lebensraum des Sohnes, in den Lebensraum Gottes und in den Lebensraum
der Menschen.
Das
Dogma von der Dreipersönlichkeit Gottes öffnet uns einen Blick in den
Lebensraum Jesu. Sein Leben war nichts anderes als ein Leben im dreipersönlichen
Gott, im Vater und im Heiligen Geist. Vom Vater geht er aus. Bevor Abraham
ward, ist er beim Vater. Vom Vater wird er zu uns gesandt und zum Vater kehrt
er wieder heim. „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Das Leben
Jesu war ein Leben im dreifaltigen Gott. Vom Vater wird er gesandt zu uns,
und zum Vater kehrt er heim von uns. Der Vater legt ihn uns ans Herz, und
unsere Nähe zum Vater bringt gleichzeitig die Nähe zu ihm und zum Heiligen
Geist. Wahrhaftig, das Leben Jesu war ein Leben im dreifaltigen Gott. Das
Abba-Sagen, das Vater-Sagen war das Wesentliche seines Lebens. Er ist vom
Vater ausgegangen, und er kehrt zum Vater zurück. Wenn wir in das Leben Jesu
hineinschauen, dann sehen wir, daß dieses Leben überwölbt ist von der Liebe
zum Vater. Der Vater ist seine ganze Freude. „Der Vater liebt mich“, sagt er
mit zitternder Innigkeit. Der Vater ist sein Gebet. „Vater, ich danke dir
für diese Stunde.“ Der Vater ist seine Norm. „Nicht mein Wille geschehe, sondern
der deine.“ Wahrhaftig, das Leben Jesu war ein Leben im Banne des dreieinigen
Gottes. „Ich bin im Vater, und der Vater ist in mir.“ Und er sendet den
Geist, der vom Vater und vom Sohne zusammen ausgeht.
Vom
Leben Jesu, vom Innenraum des Lebens Jesu, fällt dann ein Blick auf den Innenraum
der Gottheit. Die Gottheit ist ein Schenken und Empfangen. Das ist das Charakteristische
in Gott: ein Schenken und ein Empfangen. Der Sohn ist nichts anderes als
das Empfangen des Wesens des Vaters, und der Heilige Geist ist nichts anderes
als das Empfangen des göttlichen Wesens aus der Hand des Vaters und des Sohnes.
Das Leben Gottes, das innere Leben Gottes ist ein Verströmen, ein Austausch,
ein Eingehen und Ausgehen vom Vater über den Sohn zum Heiligen Geist.
Der
Evangelist Johannes nennt die zweite Person in Gott das „Wort“, den
„Logos“. Damit will er aussagen, daß der Sohn nichts anderes ist als die Aussprache
des Vaters. Indem der Vater sich selbst ausspricht, entsteht, wenn ich so
sagen darf, der Sohn, von Ewigkeit her selbstverständlich, nicht in der
Zeit. Der Sohn ist die Aussprache des Vaters, er ist das Wort des Vaters, er
ist das Wissen Gottes des Vaters um sich selbst. Deswegen sagt der Hebräerbrief,
daß Jesus, der Gottessohn, das Abbild, das Ebenbild des Vaters ist. Und um
jede geschöpfliche Aussage von ihm zu vermeiden, hat die Theologie das
Wort vom „Zeugen“ eingeführt. Zeugen heißt eben, ein Ebenbild von sich
selbst erwecken. Das eben ist das Ebenbild des Vaters: der Sohn, der vom
Vater hervorgeht. Und aus beiden geht hervor der Heilige Geist, denn der
Hervorgang des Sohnes aus dem Vater ist überwölbt von der Liebe, und wenn
die Liebe auf ihren Gipfel steigt, dann wird sie eine Person, und diese Person
nennen wir den Heiligen Geist. Dieses Atmen in Gott, dieser Pulsschlag in
Gott, dieser Tonfall in Gott ist der Heilige Geist. Er ist eine lebendige
Wirklichkeit, eine Person. Er geht vom Vater und vom Sohne aus durch Hauchen,
durch Atmen, und das soll ebenfalls wieder ausdrücken, daß es eben nicht
eine Schöpfung ist, daß nicht eine Kreatur hervorgebracht wird, sondern
daß ein Gleichbild des Vaters und des Sohnes im Heiligen Geist entsteht.
Von
dem Geheimnis der Dreifaltigkeit, des dreifaltigen Lebens in Gott fällt
auch ein Licht auf den Menschen. Der Mensch ist nämlich ein Nachhall und
soll ein Nachbild Gottes werden. Der Mensch ist ein Nachhall Gottes, also
ein Echo gewissermaßen. Sie kennen vielleicht die Sage von der Wundermuschel.
Sie ist am Meere aufgewachsen und entstanden, aber dann wurde sie ins Land
getragen, und wenn man sie ans Ohr hält, dann vernimmt man noch das Rauschen
des Meeres in dieser Muschel. Ähnlich-unähnlich ist es mit der Schöpfung;
sie ist ein Nachhall Gottes. Alles was schön und stark und lebenskräftig in
der Schöpfung ist, das ist eine wunderbare Schöpfung Gottes. Ja, wahrhaftig
ein Nachhall Gottes, ein kreatürlicher Nachhall Gottes. Natürlich vor
allem der Mensch. Wenn der Mensch mit Zeugungskraft ausgestattet ist, mit
leiblicher und geistiger Zeugungskraft, dann ist er in einem besonderen
Sinne ein Nachhall des göttlichen Lebens, des innergöttlichen Lebens. Ähnlich-unähnlich
wie der Vater den Sohn zeugt, so zeugen Menschen ein Kind in körperlicher
Zeugung, aber so gibt es auch eine geistige Zeugung, von der meinetwegen
der heilige Paulus spricht, wenn er sagt, er sei der Vater derer, die er im
Glauben hervorgebracht hat, die er zum Glauben geführt hat. Das ist eine
geistige Zeugung, und die ist eben wiederum ein Abbild, ein Nachhall des
innergöttlichen Geschehens.
Der
Mensch soll auch ein Nachbild werden, ein Nachbild des innergöttlichen
Lebens. Das vollzieht sich in der Begnadung. Indem der Mensch die Gnade empfängt,
entsteht in ihm ein Lebensraum, in dem sich das göttliche Leben vollzieht.
Ja, wahrhaftig, nicht weniger und nicht mehr ist es: Durch die Begnadung
entsteht im Menschen ein Lebensraum, in dem sich das göttliche Leben vollzieht.
Das ist ein Ausgehen und Eingehen, das ist ein Schenken und Empfangen,
das sich in der Seele des begnadeten Menschen abspielt. Jesus sagt es ja:
„Wir werden kommen und in ihm – im begnadeten Menschen – Wohnung nehmen.“
Gott nimmt Wohnung im begnadeten Menschen und vollzieht in ihm sein göttliches
Leben. Das liegt in Tiefen, die wir natürlich mit den Sinnen nicht erfassen
können und die wir selbst mit dem Verstand nicht begreifen können. Er ist
eben ein Gott der dunklen Kammer; er ist ein verborgener Gott. Aber er ist
ein Gott, der seine Verheißungen erfüllt. Wenn er sagt: „Wir werden kommen“,
dann kommt er auch. Gott wirkt in unserer Seele und will in unserer Seele ein
Nachbild seines Wesens schaffen. Die Heilige Schrift spricht von einer
„Teilnahme an der göttlichen Natur“. Wer begnadet ist, ist teilhaftig der
göttlichen Natur, er ist also erhoben zu göttlichem Sein. Unbegreiflich,
unfaßlich – und doch wirklich!
Diese
Wirklichkeit will aber auch wirksam werden. Sie will wirksam werden in
unserem Handeln, in unserem Tun, in unserem Lassen. Es muß also auch in
unserem Leben ein Strömen und Verströmen sein, ein Schenken und ein Empfangen.
Es muß also in unserem Leben eine Solidarität sein, ein Füreinander und
Miteinander. Wir haben ja an den vergangenen Sonntagen gesehen, daß
der Mensch nur zur Vollkommenheit kommt, wenn er sich selbst überschreitet,
wenn er sich selbst verläßt, wenn er das eigene Ich überwindet, wenn er zum
Du kommt, wenn er das Dusagen lernt in Liebe, in Geduld, in Großmut. Nur so
kommt der Mensch zur Vollkommenheit. Und jetzt begreifen wir auch, warum er
nur so zur Vollkommenheit kommt: weil er das göttliche Leben, das in ihm
ist, nachvollziehen muß, weil er das ausdrücken muß, was Gott in seiner
Seele kraft der Gnade vollzieht. Deswegen muß der Mensch zum Nächsten gehen
und solidarisch sein mit ihm, ihm die Liebe erweisen, und wenn es noch so
schwer fällt.
Das
Beste, was Gott uns schenken konnte, war die Teilnahme an seinem göttlichen
Leben. Das Beste, was wir einander schenken können, ist ein aus diesem
göttlichen Leben entsprießendes Füreinander und Miteinander. Wir sollen
nicht nur selbst uns Stirn und Mund und Brust bezeichnen mit dem Kreuzeszeichen
und sprechen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“,
sondern wir sollen es auch einander tun und zueinander sagen: „Gesegnet
seist du im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Amen.
Prof. dr. G. May, pr.