Das Christentum hat bei unseren Vorfahren nicht leicht Eingang gefunden. Es bedurfte mehrerer Missionsversuche, die sich über vier Jahrhunderte erstreckten. Schon längst waren die meisten Germanenstämme im Süden christianisiert; schon längst hatte der Frankenkönig Clodwig aus der Hand des Bischofs Remigius von Reims (Weihnachten 496) die Taufe empfangen, als noch immer die Sachsen und Friesen in ihrem angestammten heidnischen Götterglauben verharrten. Zäh und trotzig wehrten sie allen Bekehrungsversuchen und schlossen sich erbittert von ihren christlichen Nachbarstämmen ab.
Vom 6. Jahrhundert an begann auf den britischen Inseln, bei den Iren, Schotten und später auch bei den Angelsachsen, eine große Missionsbewegung, die auf den Norden des europäischen Festlandes zielte. Damals lebte bei den genannten Völkern neu das Frömmigkeitsideal der ewigen Pilgerschaft auf; die Heimatlosigkeit und das Unterwegssein mit all seinen Opfern und Entbehrungen galten als bester Ausdruck der menschlichen Situation in dieser Welt überhaupt. Das Wanderleben, das ganz auf die Endzeit und das ewige Gottesreich blickte, war die ideale Lebensweise der Frommen dieser Zeit. Dabei stellten sie ihr Wandern ganz bewusst in den Dienst der Mission.
Der bedeutendste angelsächsische Wandermönch und Missionar war der heilige Willibrord, der im Jahre 690 mir elf Gefährten auf das Festland kam. Er baute in Utrecht ein Missionshaus und war seit 695 Bischof dieser Stadt. Ihm folgten viele angelsächsische Mönche, von denen nur die wenigsten noch mit Namen bekannt sind. Zu diesen wenig bekannten Wandermönchen zählen die heiligen Wiro, Plechelmus und Otger. Wiro und Plechelmus waren Bischöfe, die in Rom aus der Hand des Papstes selbst die Weihe empfangen hatten.
Otger war schon vorher in England in den Stand der Diakone aufgenommen worden, und er ist sein ganzes Leben Diakon geblieben. Die Diakone hatten hohe und wichtige Aufgaben zu erfüllen. Sie leiteten die Gläubigen beim Gottesdienst zum Beten und Singen an; sie trugen die Schriftlesungen vor, sie unterrichteten die Glaubensschüler. Ihre vornehmsten Aufgaben aber waren die Predigt und die Sorge für die Armen der Gemeinde. Den Diakonen unterstanden die caritativen Einrichtungen und die Verwaltung des kirchlichen Vermögens. Deshalb finden wir heilige Diakone, z.B. den heiligen Diakon Otger, auch meistens mit dem Evangelienbuch und einem Korb mit Broten dargestellt.
Der Papst selbst gab den Wandermönchen Wiro, Plechelmus und Otger den Auftrag, an der Missionierung der Sachsen mitzuwirken. Weil auch Pippin der Mittlere, der fränkische Hausmeier, die Bekehrung der Sachsen wünschte, übereignete er den drei Missionaren für den Bau eines Missionshauses ein Grundstück, das zwischen Maas und Rur liegt, etwa zehn Kilometer südlich der heutigen Stadt Roermond in Holland. Auf einer kleinen Anhöhe begannen dort die Missionare im Jahre 705 den Bau einer Kirche, die der Muttergottes geweiht wurde. Auch das Kloster und die ihm angeschlossene Schule nahmen rasch einen glänzenden Aufstieg. Kloster und Kirche auf der Anhöhe zwischen Maas und Rur, die später den Namen St. Odilienberg erhielt, wurden bald – neben Utrecht – zum Zentrum der angelsächsischen Mission bei den Sachsen und Friesen. Von hier aus drangen die Mönche bis in alle Provinzen der heutigen Niederlande vor. Ihr Arbeitsfeld erstreckte sich bis ins westliche Münsterland. Sie waren in unserer engeren Heimat die ersten Verkündiger des Evangeliums; sie haben als erste hier das Sakrament der Taufe gespendet und die Eucharistie gefeiert.
Allerdings kam es in dieser Zeit bei uns noch nicht zu festen Gemeindegründungen und zum Bau von Kirchen. Dazu waren das unstete Wanderleben der Missionare und wohl auch ihr geringer Sinn für Organisation nicht angetan.
Über das Leben der heiligen Wiro, Plechelmus und Otger sind weitere Einzelheiten nicht bekannt. Wahrscheinlich sind sie nach einem aufreibenden, aber auch erfolgreichen Missionsleben in ihrem Stammkloster auf dem Odilienberg gestorben. Sicher ist, dass sie dort ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Noch heute bewahrt man in einem kostbaren Schrein dort die Gebeine der Heiligen.
Im Mittelalter war der Odilienberg ein weit bekannter Wallfahrtsort. Die Christen an Rhein und Maas wollten Gott für das Geschenk des Glaubens gerade dort danken, von wo die Verkündigung des Evangeliums in diesem Land seinen Ausgang genommen hatte. Plastiken aus der Barockzeit und Kirchenfenster aus der neueren Zeit mit der Darstellung der Heiligen erinnern noch heute jeden Besucher der Kirche auf dem Odilienberg bei Roermond an das segensreiche Wirken der heiligen Bischöfe Wiro und Plechelmus und des heiligen Otger. Die Kirche feiert ihr Fest am 10. September.
Was die frühen iroschottischen und angelsächsischen Missionare unvollendet hinterlassen hatten, wurde bald nach ihnen von anderen zu Ende geführt. Denn so segensreich und religiös-erzieherisch wertvoll die bisherige Missionierung Germaniens war, so entbehrte sie doch des einheitlich großen Zuges und der Zusammenfassung des Gewonnenen in Diözesen und Pfarreien. Auf der fränkischen Reichsversammlung in Paderborn im Jahre 777 war das münsterländische Gebiet noch als Missionsland dem Bistum Utrecht zugeteilt worden. Aber gerade in diesem Jahr empfing schon der Mann die Priesterweihe, der die kirchliche Organisation und Festigung dieses Landes in die Hand nehmen sollte: der Friese Liudger. 792 beauftragte ihn Karl der Große mit der Gründung eines Bistums bei den Westsachsen. Als Bischofssitz wies er ihm einen Ort namens Mimigerneford an. Von dem Missionshaus „monasterium“, das Ludger hier erbaute, erhielt die Stadt später ihren Namen „Münster“. Ludger fasste auf seinen zahlreichen Reisen durch das weite Bistum die schon vor ihm von den Wandermönchen gewonnenen Christen zu festen Gemeinden zusammen. Er baute so viele Kirchen, dass die zerstreut wohnende Bevölkerung schon damals am Gottesdienst, Sakramentenempfang und Unterricht teilnehmen konnte. Im Ganzen glaubt man etwa 38 Kirchgründungen auf Ludger zurückführen zu können.
Skt. Otger Stadtlohn |
Die ursprüngliche, romanische St.-Otger-Kirche wurde an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert durch eine gotische Kirche ersetzt. An dieser Stelle wurde dann 1892 ein neugotisches Gotteshaus erbaut, das am 11. und 21. März 1945 bis auf die Umfassungsmauern von Bomben zerstört wurde. In den Nachkriegsjahren wurde die St.-Otger-Kirche unter großen Opfern der Gemeinde wieder hergestellt und am 28. Mai 1951 von Bischof Michael Keller konsekriert.
Die katholische St.-Otger-Kirchengemeinde, deren Patrozinium nicht nur im Bistum Münster, sondern weltweit einzigartig ist, zählt heute etwa 16.000 Mitglieder.